Ja, ich war gestern Abend im Kino und habe mir die Geschichte dreier junger, anfangs vor Ideologie und Idealismus strotzender Leute angesehen und ihn zum Gegenstand einiger grundsätzlichen Überlegungen gemacht. Gerade der erste Teil des Filmes, ist der Darstellung des Umfeldes und der Zeit, vor deren Hintergrund es zum Zusammentreffen der Gründungsmitglieder einer Organisation, die wenige Jahre später weite Teile der Bundesrepublik in Angst und Schrecken versetzt sollte, gewidmet und diese zeigt erschreckende Parallelen zur heutigen Realität auf. Noch erschreckender ist jedoch die Tatsache, ist dass der Vorgang der Radikalisierung nicht nur beobachtet, sondern sogar nachvollzogen werden kann, man ihm teilweise sogar zustimmen muss.
Wenn da eine Gudrun Enslin auf der heimischen Couch sitzt, mit ihren Eltern und ihrem Lebensabschnittsgefährten über die Verbrechen in Vietnam und die Konsumgesellschaft diskutiert, ihr Vater dabei die Aussagen seiner Tochter („In Vietnam sterben zehntausende Menschen, und hier müssen alle Fressen und Konsumieren, damit sie nicht anfangen nachzudenken“) einfach ignoriert, die Diskussion verlässt mit den Worten „Ich muss in die Kirche“ und im Hinausgehen seinem Schwiegersohn in Spe zuraunt „Besser ihr heiratet bald“, so ist dies exemplarisch für die Arroganz mit der Kritik damals übergangen wurde und für Situationen, die zu einer generellen Ablehnung eines Establishments mit dem schlichtweg keinerlei Veränderung möglich war, führten. Das von Enslin angesprochene, bewährte Motte der Konsumgesellschaft, haben wir heute immer noch, nur dass es jetzt von ganzen Apparaten von Massenmedien propagiert wird.
Womit wir beim nächsten Punkt der damaligen Zeit wären: Die Medien, vor allem in Form der kompromisslosen, neo-konservativen Springer-Presse die alle ihre Macht dazu missbrauchte, die gut gemeinten Forderungen der Studentenbewegung und die Bemühungen der APO, die Aushöhlung des Grundgesetzes zu verhindern, nicht nur in Missgunst brachte, sondern gegen die „langhaarigen Anarchos“ die „alles zerstören wollen“ hetzte, sie diffamierte und eine Demagogie betriebt, die die Propagandaministerien sämtlicher Diktaturen erblassen ließe. So gesehen fand die erste Radikalisierung seitens des Establishments statt, ebenso wie das Establishment die ersten Todesopfer forderte.
Während der Demonstrationen gegen den Shah-Besuch waren es die Polizisten, die die persischen Prügel-Agenten unterstützen, anstatt des eigenen Volkes zu schützen, und auf wehrlose Demonstranten einknüppelten. Trauriger Höhepunkt dessen war sicherlich der Tod Benno Ohnesorgs, jenes Studenten der auf offener Straße „versehentlich“ erschossen wurde. Der Staat hatte sich hier nicht nur als Polizeistaat entpuppt, sondern auch als einer, der sich gegen die eigene Bevölkerung und ihr Recht zur freien Meinungsäußerung richtete.
Eine nennenswerte Opposition dagegen gab es im Parlament keine, denn es herrschte ja eine große Koalition, die 447 der 496 Abgeordneten stellte, unter einem Bundeskanzler, der einst Mitglied der NSDAP war. Also verlagerte sich die Opposition, vor allem gegen die Einschränkung der Grundrechte auf die Straße, und wurde von den Studenten getragen. Deren Anliegen wurden jedoch in der Presse falsch dargestellt und auch der Bundeskanzler begegnete ihnen voll Unverständnis: „Hiermit liefern sie doch selbst den Beweis, dass wir solche Gesetze brauchen!“
Trauriges Ergebnis war das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke, zu dem es ohne die Hetze und das Aufwiegeln der Springer-Presse aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gekommen wäre, denn wie sonst käme jemand auf die Idee, einen anderen ermorden zu wollen mit der Begründung, keine Kommunisten zu mögen. Hiermit wurde Meinhof zu folge eine Grenze überschritten, durch die ein gewaltsames Erwehren notwendig wurde und in deren Folge sie sich nicht mehr nur Journalistisch engagierte. „Protest ist, wenn ich sage das oder das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht."
Doch nicht nur diese Auswahl von unglaublichen Abläufen und Zuständen innerhalb Deutschlands schafften eine Atmosphäre, die für manche geradezu eine Verpflichtung zu dieser Art von Widerstand heraufbeschwor. Innerhalb Europas wurde der Prager-Frühling brutal von Panzern überrollt, die Amerikaner führten Krieg gegen ein Land und vor allem die Zivilbevölkerung dort, das ihnen nichts getan hatte, und niemand unternahm etwas dagegen. Dazu dieser Flut aktueller Ereignisse kam ein nicht aufgearbeitetes, historisches Erbe.
Die breite Massenbewegung verlor mit dem Amtsantritt Brands und seinen Reformen ihren Schwung, die fundamentalen Veränderungen blieben jedoch aus und die RAF hatte bereits ihren Weg eingeschlagen und sollte trotz der ideologischen Rechtfertigungen vor allem in den Nachfolgegenerationen viele unschuldige Opfer fordern.
Soll dies jetzt eine Idealisierung oder gar eine Glorifizierung der ersten Generation der RAF sein? NEIN, mit Sicherheit nicht. Aber ich will zeigen, dass es sich bei ihr um ein Produkt dieser Zeit handelte. Und diese Zeit unterscheidet sich nicht mehr besonders stark von der, in der wir heute wieder leben.
Also, schaut euch diesen Film an, und seht in als Mahnung für Dinge, die auf beiden Seiten nie wieder geschehen dürfen.