Mittwoch, 13. August 2008

Michail Gorbatschow über den Kaukasus und die Gefahren geopolitischer Spiele

Der letzte Präsident der UdSSR gilt als ein Freund des Westens, doch auch er findet in der Washington Post deutliche Wort für das Geschehen im Kaukasus. Er zeigt eine Lösungsmöglichkeit für den Konflikt auf und warnt die USA gleichzeitig vor weiteren, geopolitischen Spielchen:


Ein Weg zum Frieden im Kaucasus

Von Michail Gorbatschow

Moskau – Die Ereignisse der letzen Woche in Süd Ossetien müssen jeden schockieren und quälen. Es sind bereits tausende Menschen gestorben, zehntausende wurden zu Flüchtlingen und Städte und Dörfer liegen in Trümmern. Nichts kann diesen Verlust von Leben und diese Zerstörung rechtfertigen. Das ist eine Warnung an alle.

Die Wurzeln dieser Tragödie liegen in der Entscheidung der separatistischen Führer Georgiens, 1991 die Süd Ossetische Autonomie abzuschaffen. Dies stellte sich als Zeitbombe für Georgiens territoriale Integrität heraus. Jedes Mal, wenn aufeinander folgende Führer versuchten, ihren Willen – sowohl in Süd Ossetien, als auch in Abchasien, wo das Problem der Autonomie das gleiche ist – mit Gewalt aufzuzwingen, machte dies die Situation nur schlimmer. Neue Wunden rissen alte Verletzungen auf.

Nichts desto trotz, war es immer noch möglich, eine politische Lösung zu finden. Für einige Zeit herrschte relative Ruhe in Süd Ossetien. Die Friedenstruppen, bestehend aus Russen, Georgiern und Süd Ossetiern, erfüllten ihre Mission und normale Ossetier und Georgier, die dicht beieinander leben, fanden zumindest einige Gemeinsamkeiten.

Während all dieser Jahre erkannte Russland Georgiens territoriale Integrität weiterhin an. Ganz eindeutig ist der einzige Weg, das Süd Ossetische Problem zu lösen, der auf Basis friedlicher Mittel. Tatsächlich gibt es in einer zivilisierten Welt überhaupt keinen anderen Weg.

Die georgische Führung verletzte dieses Grundprinzip.

Was in der Nacht des 7. August geschah, ist absolut unverständlich. Das georgische Militär griff die Süd Ossetische Hauptstadt Tshkihinvali mit mehreren Raketenwerfern an, die dafür ausgelegt sind, große Gebiete zu verwüsten. Russland musste reagieren. Es der Aggression gegen das „kleine, wehrlose Georgien“ zu bezichtigen, ist nicht nur heuchlerisch, sondern zeigt auch einen Mangel an Menschlichkeit.

Einen militärischen Angriff gegen Unschuldige durchzuführen war eine hirnlose Entscheidung, deren tragische Konsequenzen für tausende Menschen verschiedener Nationalitäten jetzt offensichtlich sind. Die georgische Führung konnte dies nur unter dem Eindruck, von einer stärkern Macht unterstützt und ermutigt zu werden, tun. Die georgische Armee wurde von hunderten amerikanischer Ausbildern trainiert und ihre hoch entwickelte Ausrüstung wurde in mehreren Ländern gekauft. Das, in Verbindung mit dem Versprechen der Nato-Mitgliedschaft, brachte die georgischen Führer dazu zu glauben, sie kämen mit einem Blitzkrieg in Süd Ossetien davon.

Mit anderen Worten, Georgiens Präsident Mikheil Saakashvili erwartete eine bedingungslose Unterstützung aus dem Westen und der Westen gab ihm Grund, das zu glauben. Jetzt da der georgische Angriff zurückgeschlagen wurde, sollten sowohl die georgische Regierung, als auch ihre Unterstützer, ihre Positionen überdenken.

Die Feindseligkeiten müssen so bald wie möglich eingestellt werden und dringende Schritte müssen unternommen werden, um den Opfern zu helfen. Es ist genauso wichtig, über eine Lösung des grundlegenden Problems nachzudenken, welches eines der Schmerzlichsten und Herausfordernsten des Kaukasus ist – einer Region, der man sich mit größter Vorsicht nähern sollte.

Als die Probleme in Süd Ossetien und Abchasien aufflammten, schlug ich vor, sie durch eine Föderation, die den beiden Republiken eine weitgehende Unabhängigkeit sichern würde, zu lösen. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt, vor allem von den Georgiern. Die Einstellung veränderte sich langsam, aber nach dieser Woche, wird es viel schwieriger sein, einen Kompromiss zu finden, selbst auf einer so einer Basis.

Alte Klagen sind eine schwere Bürde. Die Heilung ist ein langwieriger Prozess, der Geduld und Dialog bedarf, mit einem Verzicht auf Gewalt als unbedingte Voraussetzung. Es dauerte Jahrzehnte, ähnliche Konflikte in Europa und anderswo zu beenden, und andere, langfristige Themen schwelen immer noch. Zusätzlich zur Geduld, fordert diese Situation auch noch Weisheit.

Die kleinen Nationen des Kaukasus haben eine Geschichte des gemeinsamen Zusammenlebens. Es wurde gezeigt, dass dauerhafter Friede möglich ist, dass Toleranz und Zusammenarbeit Bedingungen für eine normales Leben und eine normale Entwicklung schaffen können. Nichts ist wichtiger als das.

Die politischen Führer der Region müssen das erkennen. Anstatt mit den militärischen Muskeln zu spielen, sollten sie ihre Anstrengungen dem Bau eines Fundaments für einen anhaltenden Frieden widmen.

Während der letzten Jahre, haben einige westliche Nationen Positionen bezogen, vor allem im Weltsicherheitsrat der U.N., die weit davon entfernt waren, ausgeglichen zu sein. In Folge dessen, war es dem Sicherheitsrat nicht möglich, schon beim Ausbruch dieses Konflikts effektiv zu handeln. Indem sie den Kaukasus, eine Region, die tausende Meilen vom amerikanischen Kontinent entfernt ist, zu einem Gebiet des „nationalen Interesses“ erklärten, machten die USA einen schweren Fehler. Natürlich liegt Frieden im Kaukasus in Jedermanns Interesse. Aber einem sagt einfach der gesunde Menschenverstand, dass Russland dort durch eine gemeinsame Geographie und Jahrhunderte der Geschichte verwurzelt ist. Russland verfolgt keine territoriale Erweiterung, aber es hat legitime Interessen in dieser Region.

Das langfristige Ziel der internationalen Gemeinschaft könnte sein, ein regionales System der Sicherheit und Zusammenarbeit zu schaffen, das jede Provokation und die schiere Möglichkeit eines solchen Konflikts, unmöglich macht. Ein solches System zu schaffen, wäre eine Herausforderung und könnte mit der Zusammenarbeit der Länder der Region selbst, erreicht werden. Nationen außerhalb der Region könnten vielleicht auch helfen – aber nur, wenn sie eine faire und objektive Position beziehen. Eine Lektion der aktuellen Ereignisse ist, dass geopolitische Spiele überall gefährlich sind, nicht nur im Kaukasus.